Mit innovativer Politik und Anreizsystemen können Klimaerwärmung und Wohnungsnot im Baubereich gleichzeitig adressiert werden. Die Zeit für solche Lösungen drängt, findet Bernhard Lanzendörfer
Alle, die sich mit dem Bauen befassen, sind mehr denn je gefordert: im Kampf gegen die Klimaerwärmung, im Kampf gegen die Wohnungsnot. Wir
wissen, dass wir mehr bauen müssen, weil die Bevölkerung deutlichrascher wächst als die Zahl neuer Wohnungen. Und wir wissen, dass der
Gebäudepark für einen Viertel des CO2-Ausstosses und für fast die Hälfte des Energiebedarfs verantwortlich ist. Handeln tut not.
Trotz vielen gut gemeinten Initiativen, Gesetzesrevisionen, politischen Vorstössen und Absichtserklärungen wurde noch zu wenig erreicht – und in jüngster Zeit verhärten sich die Fronten. Das ist kein gutes Zeichen. Mir scheint, je näher 2050 und Netto-Null rücken, desto härter wird gefochten.
Eine noch stärkere Ideologisierung beim Thema Bauen dürfte allerdings einzig dazu führen, dass es nur noch länger dauert. Mein Standpunkt ist
daher: Lasst uns gemeinsam nach raschen und innovativen, bezahlbaren und sozialen Lösungen suchen.
Als Beispiel für einen ideologischen Standpunkt sei mir der Verweis auf eine Petition des Vereins Countdown 2030 erlaubt. Mit seiner Petition
setzt sich der Verein vehement gegen den Abriss von Gebäuden ein. Der Abriss von Gebäuden soll sogar nur noch die Ausnahme und bewilligungspflichtig sein. Bauen im Bestand soll gegenüber Neubauten deutlich privilegiert sein. Solche rigiden Ideen sind der falsche Weg und
werden unsere Probleme ganz sicher nicht lösen. Vielversprechender ist es, in jedem Einzelfall eine Beurteilung vorzunehmen, welche Baustrategie
die richtige ist, unter baulichen, ökologischen und sozialen Aspekten.
Wenn wir an die Wohnungsnot denken, so ist nüchtern festzuhalten, dass eine substanzielle Verdichtung des Wohnraums meist nur mit einem Ersatzneubau überhaupt möglich ist. Dem Bauen im Bestand sind hier Grenzen gesetzt, auch wenn es im Einzelfall gute Möglichkeiten gibt. Im Durchschnitt wird jede zurückgebaute Wohnung durch zwei neue ersetzt, und die Wohnfläche wird verdreifacht. Bei bestehenden Gebäuden
ist die Gebäudesubstanz oftmals zu schlecht für die geforderte Modernisierung und Aufstockung. Auch sind Vorschriften wie die Erdbebensicherheitoder der Brandschutz kaum einzuhalten.
Argumente gegen die starre Anti-Abriss-Ideologie gibt es viele: Häufig sind auch modernisierte Grundrisse nicht möglich, und alters- oder behindertengerechte Wohnungen sind nur schwierig und teuer zu realisieren. Mit Blick auf die Demografie ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt.
Die Politik könnte auch ohne sozialen Wohnungsbau – der oftmals von ökologisch Denkenden propagiert wird, der allerdings allzu häufig nur neue Ungerechtigkeiten schafft – einiges zur Lösung der sozialen und ökologischen Frage beitragen. So könnten Vorschriften so verfasst sein, dass die ökologische Ertüchtigung von Gebäuden mit der Bewilligung für Aufstockungen belohnt wird. Beim Neubau könnte man das ökologische
Vorzeigeprojekt mit einer höheren Ausnützungsziffer belohnen. Das heisst, die Politik könnte konkrete Anreize schaffen, damit verdichtet wird, damit ökologischer gebaut wird. Es ist an der Zeit, gezielt regulatorische Anreize so zu setzen, dass gleichzeitig die Wohnungsnot reduziert und energetisch saniert wird.
Blickt man auf die Zuwanderungszahlen, so werden wir nicht darum herumkommen, in die Höhe zu bauen. Ich weiss: Dieses Mantra wird schon
lange vorgetragen. Nur gilt es jetzt mit Blick auf die Zersiedelung und die Wohnungsnot wirklich ernst. Die Schweiz ist ein Einwanderungsland,
derzeit wächst die Bevölkerung stärker als die Zahl neuer Wohnungen. Das bedeutet: Wir müssen jeden Quadratmeter besser nutzen. Und die
einfachste Lösung dafür ist das Bauen in die Höhe. Unsere Gesetze und Zonenordnungen sind dementsprechend anzupassen, auch wenn der
Widerstand gross sein dürfte, wie sich jüngst in Zürich zeigte.
Ohne jeden Zweifel: Die graue Energie ist klimarelevant, und deshalb ist es richtig, sie in die Berechnungen und Beurteilungen einzubeziehen.
Allerdings, so scheint mir, wird die graue Energie bereits ideologisch missbraucht, um innovative Konzepte zu verhindern – oftmals gepaart mit den Interessen des Heimatschutzes. Wer nicht mehr neu baut, wird über die Zeit bei Innovationen zurückfallen oder gar stehenbleiben. Fakt ist: Der Energiebedarf eines heute errichteten Gebäudes ist zwischen vier- und siebenmal tiefer als derjenige eines Gebäudes mit Baujahr 1980 oder früher.
Die Baustoffindustrie hat bereits grosse Fortschritte bei der Entwicklung von klimafreundlichen und kreislauffähigen Produktenund Bauverfahren gemacht. Und auch in der Politik ist vieles auf gutem Wege: Neue Regulatorien im Umweltschutzgesetz fördernden Kreislauf von Baustoffen. Anliegen, die graue Energie zu reduzieren, sind also sehr berechtigt. Und die Bauindustrie hilftkonstruktiv mit.
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